Full Motion Video – ein vergessener Meilenstein.

Der Titel mag auf den ersten Blick etwas reißerisch sein, da „Full Motion Video“, oder abgekürzt FMV, eigentlich bloß vorgerenderte Videosequenzen in – naja – Videospielen umschreibt. Diese nahmen insbesondere im Umbruch auf dem Wege zu den ersten Direct3D-Titeln Mitte der 90er eine bedeutende Rolle in vielen Spielen ein, denn die Entwickler haderten mit sich: „Hm, das, was wir eigentlich vorhaben, kann ein aktueller PC grafisch nicht berechnen – aber wir können’s, also fügen wir einfach eine coole, vorgerenderte Zwischensequenz ins Spiel ein!“. Auch die anfänglich zweidimensionale Command ’n‘ Conquer-Reihe wurde durch solche statischen Videosequenzen nachdrücklich zum Leben erweckt, sogar mit unvergesslicher Vertonung, Kulisse und coolen Schauspielern!

Mir persönlich haben sich Rendersequenzen zumindest oft gut eingebrannt. Insbesondere damals stellten sie in der Regel einen unfassbaren Stilbruch zur tatsächlichen Spielgrafik dar und repräsentierten das, was sich das Entwicklerteam wohl tatsächlich bei ihrer Umsetzung vorgestellt hat, oder dem Spieler zu vermitteln versuchte. Und das ist künstlerisch wertvoll.

Als sehr eindringlich empfinde ich die außergewöhnliche Darstellung der Zwischensequenzen (und des Intros) aus Interstate ’76, die in Vielzahl quasi die gesamte Geschichte erzählten und fast übergangslos als Kurzfilm zusammengeschnitten werden können. Zwar hat Interstate ’76 auch so als Spiel hervorragend funktioniert, aber lebendig, detailverliebt und einprägsam wurde es doch erst durch die ausgezeichneten Videos – naja, und selbstverständlich den groovigsten Soundtrack ever! 😏

Also, wir haben die Videos in eigener Grafik und das Spiel in eigener Grafik. Stilistisch bloß ähnlich angehaucht. Die Zwischensequenzen zeigen das, was die Entwickler wirklich drauf hatten, aber auch dem Spieler versuchen mitzuteilen – und die machen so richtig Geschmack! Doch es bedarf einem Verbindungsstück. Als Medium fungieren in diesem Fall beispielsweise die Synchronsprecher, denn wir hören sie sowohl in den Zwischensequenzen, als auch über Funk im Spiel – nur dort tauchen sie visuell nie auf. Wir sehen lediglich im Spiel auftauchenden Charakterausschnitte, also beim Fahren in der Cockpitperspektive bloß die Hände und Arme unseres Charakters. Aber genau solche kleinen Verbindungsschnipsel erzeugen gepaart mit unserer Fantasie Assoziation. Wir sehen nicht länger bloß die pixelige Ingame-Grafik, hören nicht nur die Funksprüche, sondern verbinden auch das damit, was uns visuell deutlich anspruchsvoller mithilfe von FMVs als Erzähltechnik vor die Nase gesetzt wurde.

Nicht immer ein Bestandteil vom Gameplay! 😅 

Klar, nicht jedes Spiel hatte unbedingt tiefgründige oder spielerisch derart unterstützende FMVs zu bieten. So dienen solche Zwischensequenzen im eigentlichen Sinne wie Tomb Raider auch nur als kleiner Appetizer auf das bevorstehende Level und haben nur wenig Einfluss aufs Spielgefühl, zumal in Tomb Raider viele Szenen auch mit Ingame-Grafik gescripted wurden. Oder auch in Road Rash, das uns je nach Ausgang eines Rennens entweder mit einem erfreulichen Video mit vielen, hübschen Frauen belohnte, oder bei missglückter Fahrt in den Graben oder in „den langen Arm des Gesetzes“ mit makaberen Szenen gnadenlos abstrafte!

Gelegentlich gibt’s auch einfach nur ein sehr sehr cooles Intro, ohne oder kaum weitere Videosequenzen im weiteren Spielverlauf, wie in The Nomad Soul. Übrigens war Indiana Jones und der Turm von Babel eines der ersten Spiele, das vollständig auf animierte Zwischensequenzen verzichtete. Alle Charakterhandlungen und Erzählungen wurden vollständig in 3D-Ingame-Grafik gescripted – mal als kleiner Gegenpol zum FMV. Das funktioniert eben auch und ist in Anbetracht heutiger technischer Maßstäbe natürlich auch die gängige Variante, zu präsentieren. 

Aber teilweise noch maßgebender! 😲

Nichtsdestotrotz lebten einige Spiele sogar von FMV und wären ohne vorgerenderte Videodateien gar nicht erst spielbar, sogenannte Full Motion Video Games. In engerem Sinne sind dem Spiele wie Dragon’s Lair oder The 7th Guest zuzuweisen, in denen FMVs einen elementaren Bestandteil des Gameplays einnehmen. So müssen wir beispielsweise in Dragon’s Lair – ursprünglich als Arcade-Verison 1983 erschienen – schnell bestimmte Joystickkombinationen durchführen, um in den nächsten Levelabschnitt vorzudringen, also den nächsten Teil „des Films“ sehen zu können. Spielerisch wenig anspruchsvoll, aber zu dieser Zeit war wohl alleine der Umstand, mit einem Video interagieren zu können, das auf Benutzereingaben mit unterschiedlichen Ausgängen reagiert, ein Meilenstein. Wer die Serie Stranger Things 2 geschaut hat, hat vielleicht auch die kleine Anspielung auf Dragon’s Lair mitbekommen, denn die Protagonisten zocken das begeistert in einer Arcade-Halle! 😃

Dragon's Lair in Stranger Things 2

Des Weiteren sind FMVs in manchen Spielen auch als Bestandteil der Ingame-Grafik eingebunden. In Blade Runner sind jegliche Hintergründe  vorgerendert, auf die einige Sprites, also Charaktermodelle und interagierbare Gegenstände, gelegt wurden. Der Hintergrund bleibt dabei statisch und dient lediglich der Untermalung der Szene. Insbesondere schön anzusehen waren hier die Übergänge und die weichen Animationen, seiner Zeit äußerst detailgetreu. Etwas problematisch ist allerdings der Umstand, dass interagierbare Objekte doch deutlich hervorstechen, sich also grafisch stark von der übrigen Kulisse abheben – technisch war aber einfach nicht mehr drin.

Auch bekannte Titel wie Resident Evil oder Gabriel Knight 2: The Beast Within machten sich Nutzen von vorgerenderten Sequenzen, die in diesem Fall aber gameplaytechnisch bloß als statische Hintergrundgrafik fungierten, ganz ohne Animationen. Das war in Resident Evil zwar atmosphärisch, aufgrund der geringen Auflösung von 320×240 Pixeln und den klobigen Charaktermodellen ist das Spiel in seiner Urfassung aber doch eher furchterregend gealtert. Ich kam übrigens das erste Mal mit der Demo in Kontakt und fand die als Kind ganz schön gruselig! In Gabriel Knight wurde hingegen auch abermals die Geschichte mithilfe von Videosequenzen erzählt, mit echten Schauspielern und Vertonung, und wir sehen unseren Helden „schauspielern“ bei Wechseln von Szenen, beispielsweise dem Betreten von Gebäuden oder neuen Arealen.


Gabriel Knight 2 spielt übrigens im schönen Bayern – na und wo gibt’s denn heute noch so einen schönen BMW E30! 😏

Fazit 💡

Eine damalige Spielewelt ohne FMVs? Undenkbar, denn die kleinen Videoschnippsel und dessen Verknüpfung in unterschiedlichem Ausmaße trugen sehr zum Spielerlebnis und vor allen Dingen dem künstlerischen Wert bei. Erst die gerenderten Sequenzen vermittelten oftmals die tatsächlichen Vorstellungen der Entwickler und ergeben gepaart mit der (unterbewussten) Fantasie des Spielers ein einfach viel schöneres Spiel. Die Präsentationstechnik ist nach heutigem Stand der Dinge allerdings veraltet und leistet kaum noch einen Beitrag, denn mittlerweile kann’s eben auch der heimische Spiele-PC aufgrund von Scripts selbst in einer detaillierten 3D-Welt berechnen. Ein bekannter, aktueller Vertreter, der einem klassischen Full Motion Video Game sehr nahe kommt, ist Her Story.

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Bewertung: 5.0/5 (4)

Kommentare

7 Antworten zu „Full Motion Video – ein vergessener Meilenstein.“

  1. Avatar von Malte
    Malte

    Das ist ja echt der Hammer 😅

  2. Avatar von Retro309
    Retro309

    Ich warte noch auf einen Release von Hardline auf gog. Nein nicht den BF Teil, sondern dem schön trashigen Adventure von ’96.

  3. Avatar von FloosWorld
    FloosWorld

    Ups, sollte @Malte sein ^^

  4. Avatar von FloosWorld
    FloosWorld

    @Male Mal sehen 😀 ich habs nicht so oft gespielt

  5. Avatar von Malte
    Malte

    @ClassicGameingFan Das fand leider keinen inhaltlichen Einzug in den Artikel, da ich es selbst nicht gespielt habe und nicht mit möglichen „Fehlinformationen“ glänzen will 😅 Wenn du Lust hast kannst du natürlich gerne was dazu schreiben, ließe sich hier gut verlinken

  6. Avatar von FloosWorld
    FloosWorld

    Hach Night Trap im Beitragbild – herrliches Spiel. 😀

  7. Avatar von Dominik
    Dominik

    Ich find genau solche Sachen zeichnen die Klassiker aus. Das bringt einfach eine ganz andere Atmosphäre rüber. Schade das heutzutage sowas nicht mehr anzutreffen ist.

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